Der Mythos vom „Gay-Gen” ist geplatzt

Paul Sullins

September 2019

Vorbemerkung

In der Zeitschrift „Science“ erschien im August 2019 die bisher umfangreichste genetische Studie mit fast 500.000 Teilnehmern, Männern und Frauen, zur Frage ob und inwieweit gleichgeschlechtliche Orientierung und gleichgeschlechtliches sexuelles Verhalten eine genetische Basis haben.[1]

Auf der für die Studie eingerichteten Website fassen die Forscher ihre Ergebnisse zusammen: „Verhaltensmerkmale wie sexuelles Verhalten und Orientierung sind nur teilweise genetischer Natur. Zu einem großen Teil werden sie auch durch das Umfeld und die Lebenserfahrungen einer Person geprägt. … Unsere genetischen Erkenntnisse schließen in keiner Weise zusätzliche Einflüsse durch Kultur, Gesellschaft, Familie oder individuelle Erfahrungen oder nicht-genetische biologische Einflüsse aus, was die Entwicklung sexuellen Verhaltens und der Orientierung angeht.“[2]

Kann man die Entwicklung einer gleichgeschlechtlichen Anziehung aus dem genetischen Make-up einer Person vorhersagen, oder zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu einer solchen Entwicklung aus der Genetik vorhersagen? Nein.

Die Forscher schreiben: „Die Erkenntnisse basieren auf statistischen Mustern in den Gesamtdaten, es können keine Rückschlüsse für den Einzelnen gezogen werden. Es ist unmöglich, das sexuelle Verhalten oder die sexuelle Orientierung einer Person aus der DNA vorherzusagen oder zu identifizieren. Wenn man die Genetik einer Person kennt, kann man daraus ebenso gut auf das sexuelle Verhalten dieser Person schließen, als wenn man gar keine genetischen Informationen von ihr hat.[3]

Im folgenden Beitrag fasst Paul Sullins, Professor für Soziologie, die Studie zusammen und erörtert, welche Schlussfolgerung für die Gesetzgebung freier Gesellschaften aus ihr gezogen werden sollte.  

Im August 2019 veröffentlichte die Zeitschrift Science die Ergebnisse einer neuen Studie zur genetischen Basis von Homosexualität. Die Studie bringt das fehlerhafte Narrativ, homosexuell zu sein sei etwas Angeborenes, das durch das genetische Grundgerüst eines Menschen gesteuert oder zumindest größtenteils angetrieben werde, zum Platzen.  

LGBT-Wissenschaftler versuchten jahrzehntelang, ein „Gay-Gen” zu finden. Nun stellt die Hauptautorin der neuen Studie rundherum fest: „Es wird im Grunde unmöglich sein, das sexuelle Verhalten oder die sexuelle Orientierung einer Person rein aus der Genetik vorherzusagen.“ Das ist noch milde ausgedrückt.

Die Studie stellt fest, dass das Umfeld, in dem sich ein Mensch entwickelt – der Einfluss von Familie, Freunden, Nachbarschaft, Religion und einer Vielzahl anderer Lebensumstände –  doppelt so großen Einfluss wie seine Genetik auf die Wahrscheinlichkeit hat, gleichgeschlechtliche Verhaltensweisen oder eine gleichgeschlechtliche Orientierung zu entwickeln.

Die genetischen Einflüsse kommen auch nicht aus einer oder zwei starken Quellen; vielmehr gibt es Dutzende genetischer Varianten, von denen jede der Neigung zu homosexuellem Verhalten eine kleine Zunahme hinzufügt. Eine genetische Anordnung, die auf einer großen Anzahl von Markern beruht, die über das gesamte Genom verteilt sind, bedeutet aber, dass nahezu alle Menschen diese Anordnung haben oder zumindest große Teile davon. Mit anderen Worten: Die Studie fand nicht nur kein „Steuerungsgen“ für eine homosexuelle Identität, sie belegt auch, dass homosexuelle Menschen sich genetisch nicht wesentlich von allen anderen Menschen unterscheiden. Homosexuelle Menschen, kann man sagen, haben ein völlig unauffälliges, normales menschliches Genom.

Befürworter der Normalisierung von LGBT-Lebensstilen, darunter die publizierende Zeitschrift und Journalisten der Mainstream-Medien, haben versucht, gute Miene zu diesem Ergebnis zu machen. Als ob es um Toleranz gegenüber dem gewählten Lebensstil von homosexuellen Menschen ginge, zitiert die New York Times einen der Autoren der Studie: „Ich hoffe, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse gebraucht werden können, Menschen etwas besser beizubringen, wie natürlich und normal homosexuelles Verhalten ist.“[4]

LGBT-Aktivisten erklärten, die Studie „liefert noch mehr Belege dafür, dass schwul oder lesbisch sein ein natürlicher Teil menschlichen Lebens ist.“

Tatsächlich stellte die Studie fest, dass die genetische Neigung zu gleichgeschlechtlichem Verhalten sich kaum von der für 28 andere komplexe Eigenschaften oder Verhaltensweisen unterscheidet und mit einer Neigung zu anderen risikobereiten Verhaltensweisen zusammenhängt wie etwa dem Rauchen, Drogenkonsum, der Anzahl der Sexualpartner oder einer generellen Offenheit für neue Erfahrungen.

Doch die langjährige und nachdrückliche Behauptung von Gay-Aktivisten im juristischen und politisch-öffentlichen Bereich lautet nicht, dass gleichgeschlechtliches Verhalten etwas mit dem Aufwachsen eines Menschen oder mit Lebensstil-Faktoren zu tun hat, sondern ein angeborener Unterschied ist, der entdeckt, nicht entwickelt, wird: ein eigenständiges und festes Element in der Natur eines Menschen, das unveränderlich sei.

Emotional und sexuell sei eine gleichgeschlechtliche Orientierung nicht eine Frage dessen, wie ein Mensch sich entwickeln möchte, sondern – so ihre Behauptung – wer er bereits ist.

Ein Dreh- und Angelpunkt der Beweisgrundlage für die Entscheidung des obersten Gerichts in den USA, die gleichgeschlechtliche Ehe einzuführen, war beispielsweise, dass eine gleichgeschlechtliche Orientierung eine „unveränderliche Natur“ reflektiere, die „vorschreibt, dass die gleichgeschlechtliche Ehe“ für diese Menschen der „einzige echte Weg zu dieser tiefen Verbindlichkeit ist“ (Urteil Obergefell vs. Hodges, S. 4).

Der Konfliktpunkt in der Frage der Toleranz ergibt sich heute nicht so sehr für Menschen, die sich als schwul oder lesbisch ansehen, sondern für Menschen, die für sich persönlich eine solche Identifikation vermeiden, ablehnen oder ihr widerstehen möchten.

Mit der Begründung, dies sei eine Leugnung der unveränderlichen Natur, gibt es aktuell zahlreiche Anstrengungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung, freiwillige Therapien für diejenigen Erwachsene zu verbieten, die in irgendeiner Form gleichgeschlechtliche Anziehung verspüren, aber keine gleichgeschlechtliche Beziehung eingehen und sich auch nicht als schwul oder lesbisch identifizieren möchten. Oder man möchte diesen Personen ihre Legitimität ganz absprechen.

In der Rechtsprechung, in der Personen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung das Recht und die Freiheit haben, sich als gay zu identifizieren und eine gleichgeschlechtliche Ehe einzugehen, arbeiten LGBT-Ideologen daran, denselben Personen das Recht und die Freiheit zu nehmen, sich gerade nicht als gay zu identifizieren und stattdessen eine heterosexuelle Ehe anzustreben – mit der Begründung, dass sie damit ihrer tatsächlichen Identität Gewalt antäten. Die vorliegende Studie entzieht einem solchen Denken die Grundlage.

Wenn schwule und lesbische Menschen genetisch unauffällig sind, welche Grundlage gibt es dann, sie als eigenständige, geschützte Klasse anzusehen, die vom Gesetz bevorzugt wird? Und welche Grundlage gibt es, anderen genetisch unauffälligen Personen ein Verbot zu erteilen, weil sie sich weigern, sich homosexuell zu verhalten? 

Die Studie ergab, dass die meisten Personen, die einen mit schwulen oder lesbischen Personen identischen Genotyp haben (in einem ungefähren Verhältnis von 2:1) aus unterschiedlichen Gründen – beispielsweise aufgrund ihres sozialen Umfeldes oder persönlicher Prinzipien – keine homosexuellen Beziehungen eingehen. Sollten sie dazu nicht ebenso die Freiheit und Berechtigung haben?

In einer freien Gesellschaft, die persönliche Autonomie wertschätzt, ist es keine angemessene Aufgabe der Gesetze, Entscheidungen des persönlichen Lebensstils unter Strafe zu stellen, ganz gleich, wie vehement manche solchen Entscheidungen widersprechen oder wie politisch inkorrekt sie sein mögen. Wenn dies, ausgehend von der Prämisse, dass homosexuelle Menschen „so geboren“ wurden, je eine sinnvolle Argumentation war, ist es in Anbetracht des Fehlens solcher zwingenden genetischen Unterschiede unmöglich, vernünftigerweise zu behaupten, die Toleranz gegenüber homosexuellem Verhalten erfordere eine Intoleranz gegenüber heterosexuellem Verhalten.

Im Licht dieser Konsequenzen haben einige an der Studie beteiligte, selbst homosexuelle Wissenschaftler sich öffentlich gegen deren Veröffentlichung gestellt. Erstaunlich blind ihren eigenen Vorurteilen gegenüber äußerten sie die Sorge, dass die Ergebnisse der Studie „missdeutet“ und „zur Förderung hasserfüllter Absichten“ eingesetzt werden könnten.

Weniger hitzig formuliert: Sie sind besorgt, dass die Studie auf eine Art und Weise interpretiert werden könnte, der sie nicht zustimmen würden. Für sie ist der Nutzen eines größeren Verständnisses menschlichen Verhaltens nicht so bedeutsam wie die empfundene negative politische Bedeutung der Studienergebnisse für das Ausleben einer homosexuellen Identität.

Den Hauptautorinnen und -autoren der Studie, von denen ebenfalls einige homosexuell sind, gebührt Anerkennung, dass sie dem Impuls widerstanden haben, wissenschaftliche Belege zugunsten politischer Opportunität zu unterdrücken. Obwohl diese Regel heute leider häufig verletzt wird, ist die Überzeugung, dass die Verbreitung von Beweisen und Ideen nicht durch politische Erwägungen zensiert werden sollte, grundlegend für die moderne Wissenschaft.

Wenn wir – hoffentlich mit gegenseitigem Respekt – darüber streiten können, wer in der Interpretation der Ergebnisse wem mit Hass begegnet, werden wir am Ende alle unseren besten modus vivendi auf der Grundlage von Politik und Gesetzen finden, in denen sich objektive, ehrlich präsentierte Beweise widerspiegeln. Diese Studie ist dafür ein gutes Beispiel.

Rev. D. Paul Sullins, seit kurzem emeritierter Professor der Soziologie an der katholischen Universität von Amerika in Washington D.C. und leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ruth Institute. Dr. Sullins ist führend in der Forschung zu gleichgeschlechtlicher Elternschaft und ihren Folgen für die kindliche Entwicklung. Er ist Autor von vier Büchern und zahlreichen wissenschaftlichen Artikeln.

Originalartikel (abgerufen 16.1.2020):

https://www.mercatornet.com/conjugality/view/the-gay-gene-myth-has-been-exploded/22824   Übersetzung und Veröffentlichung mit frdl. Genehmigung

Anmerkungen

[1] Ganna, A. et al., Large scale GWAS reveals insights into the genetic architecture of same-sex sexual behavior. Science 30 Aug 2019, vol 365, Issues 6456, eaat7693   https://science.sciencemag.org/content/365/6456/eaat7693

[2] Genetics of Sexual Behavior – A website to communicate and share the results from the largest study on the genetics of sexual behaviour. https://geneticsexbehavior.info/what-we-found/

[3] Ebd.

[4] https://www.nytimes.com/2019/08/29/science/gay-gene-sex.html